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Zeiten Ende

„Innovation, Optimierung, Effizienzsteigerung“ zählen zu den Begriffen, mit denen in der heutigen Zeit wahllos umhergeworfen wird und die als Ziel für jegliches Handeln gesteckt werden. Harald Welzer, Sozialpsychologe und mehrfacher Bestsellerautor ist dagegen. Gegen die Effizienzsteigerung als Ziel allen politischen und gesellschaftlichen Handelns. In seinem neuen Buch „Zeiten Ende. Politik ohne Leitbild, Gesellschaft in Gefahr” übt er Kritik an Olaf Scholz‘ Begriff der „Zeitenwende“.

Von Claudia Thaler

Eben diese „Zeitenwende“ ist für Welzer zu kurz gegriffen und in seiner Bedeutung unklar, denn laut Welzer wendet sich derzeit tatsächlich wenig, betrachte man beispielsweise die Sicherheitspolitik oder die EU-Politik. Er persönlich war immer Optimist, als Wissenschaftler und als Bürger, denn die Erfahrung hat gezeigt, dass die EU stets Konzepte hervorgebracht hat, an denen sich andere Gesellschaften orientieren. Es wurden für Probleme erfahrungsgemäß sinnvolle Lösungen gefunden. Inzwischen sieht er die Dinge pessimistischer. Wir erleben zurzeit zahlreiche Krisen gleichzeitig, wie Putins Angriffskrieg auf die Ukraine oder die Klimakrise. Die Regierungsmacher*innen adressieren diese nur sehr kurzsichtig, ohne nachhaltige Änderungen zu erzielen. was zu immensen Rückschritten führt. Welzer glaubt, dass das Glück in der westeuropäischen Gesellschaft einer langen Phase ohne Krisen und Kriege geschuldet ist, was darin resultiert, dass der zivilisatorische Prozess weitergeht, wie gehabt. „Wir müssen nichts ändern, wir können weitermachen wie bisher“. Und andererseits gibt es großen Aufbruch hin zum Liberalismus, worin Welzer eine große Gefahr sieht. Das Verschwinden des Konservativismus wäre die größte Katastrophe, denn er würde den Weg für den Liberalismus frei räumen und Demokratien von Innen zerstören. Gesellschaften funktionieren nicht nur auf der Grundlage von Gesetzen und der Verfassung, sondern auch auf jener von impliziten Regeln, Gewohnheiten und Umgängen. Und wenn diese verloren gehen, gerät die Demokratie ins Rutschen. Was verloren geht, ist das gemeinsame Verständnis für Gemeinwohl., Regierungsparteien führen gegeneinander Politik, und das führt zu einer kollektiven Unsicherheit in der Gesellschaft. Es ist Teil unserer Zeitgestalt, dass wir uns aneinander orientieren, wenn Verunsicherung herrscht und dies führt zu einer fiktiven Einigung, die auf keinerlei rationaler Grundlage beruht.  Man schaue auf die vergangene Coronakrise, bei der es kein Rezeptwissen gab. Das Problem liegt laut dem Sozialpsychologen in der Effizienzpolitik: Was in unserer Zeit als „Transformation“ definiert wird, ist, dass alles bleibt, wie es ist, wir machen es nur effizienter. Welzer plädiert für eine Politik des Aufhörens, der Exovation. , Dinge die schlecht sind müssen unterlassen werden. Wir leben eine Ökonomie der Unendlichkeit und vergessen, dass wir und alles um uns herum nicht unendlich ist, sondern vergänglich. Deshalb müssen neue Begriffe in den Transformationsdiskurs eingeführt werden, wie etwa jener der Resonanz. Die Qualität des Lebens liegt auch in seiner Endlichkeit. Das Leitbild politischer und sozialer Ordnung kann ohne Einbezug der Natur und des Klimas nicht mehr aufrechterhalten werden, denn Klimawandel und Artensterben sind bereits Realität geworden. Wir befinden uns im sechsten Massenartensterben und diese Probleme gehören nicht in die Politik, sondern auch in die Kultur und in die Gesellschaft.

Welzer weiß, es muss ein Umdenken geben, in der Effizienzpolitik, in der Regierungspolitik und in der kollektiven Annahme, wir seien auf der Erde nicht nur zu Gast, sondern permanent.

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