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Das Verschwinden der Volksmusik

Das Jahr neigt sich dem Ende zu und Spotify demonstriert uns zum vierten Mal in Folge, welche unverschämte Menge an Daten über uns gesammelt wird. Vor wenigen Wochen, als der Streamingdienst seinen Nutzer*innen ihren personalisierten „Jahresrückblick“ präsentierte, dauerte es nicht lange, bis unsere Instagram-Stories von einer Welle an Hörgewohnheiten entfernter Bekannter geflutet wurden.


Würde jemand diese Zusammenfassungen tatsächlich lesen, so entdeckte man, von Drake über Die Drei Fragezeichen bis hin zu Gustav Mahler, eine riesige Varietät an Genres und Künstler*innen. Sehr still sind die Fans von Kanye West in diesem Jahr, und auch eine tief in der Gesellschaft verwurzelte Musikrichtung fehlt verlässlich: die Volksmusik.

Irrelevant oder irre relevant?

Verständlich, in meinen Augen. Als Chorsänger seit Kindestagen, waren mir Volkslieder immer ein notwendiges Übel. Die einfachen, repetitiven Strophenlieder waren schnell aufführungsreif vorbereitet, machten mir als jungen Sängerknaben aber keinen Spaß zu proben. Diese Apathie wuchs, als mich die Pubertät ins Bassregister schickte und sich der Ambitus der meisten Volkslieder von etwa vier auf zwei Töne verringerte.

Als ich beim abendlichen „Rumgooglen“ dann zufällig auf eine Umfrage aus dem Jahr 2018 stieß, nach welcher die Kategorie „Schlager und Volksmusik“ sogar auf Platz eins der beliebtesten Genres der Österreicher*innen landete, war ich ehrlich überrascht. Während sich in der Altersgruppe ab 50 Jahren sieben von zehn Personen für diese Musikrichtungen begeistern konnten, verorteten die Zuständigen unter den jüngsten Proband*innen nur mehr einen Fan dieser Genres bei gleicher Anzahl Befragter.

Des Weiteren macht der durchführende Marktforschungsdienstleister diesen für mich überraschenden Siegeszug nicht etwa an einem Revival obskurer Volkstänze wie des „Haxenschmeißers“ fest, sondern an der immensen Popularität von Schlagerstars wie Helene Fischer.
Der Schlager aber gehört zu der klar abzugrenzenden „volkstümlichen Musik“, welche sich zwar einige Elemente der Volksmusik entlehnt, ansonsten aber kaum etwas mit der traditionsreichen Volksmusik gemein hat. Dass der Beitrag Letzterer zur Erstplatzierung nur wenig ins Gewicht fallen dürfte, bleibt zu vermuten.

Gespielt, aber nicht gehört

Gleichzeitig befinden sich die Mitgliederzahlen von Volkskulturverbänden noch immer in den Hunderttausenden, an Auftritten mangelt es nicht. Auch für Nachwuchs ist gesorgt, etwa waren 2020 mehr als die Hälfte aller Blasmusikkapellen Jugendorganisationen.
Zumindest einige Arten der Volksmusik werden also noch immer weitläufig arrangiert, einstudiert und letztlich im dörflichen Musikpavillion bei Würstl und Bier aufgeführt.
Die Volksmusik ist keineswegs vom Aussterben bedroht, könnte aber zunehmend irrelevant und in naher Zukunft nur mehr zu besonderen Anlässen konsumiert werden. Auch in den kommenden Jahren beschert sie Musiker*innen verzückte Blicke trachtiger Tourist*innen und saftige Gagen für „Tirolerabende“, auf der Heimfahrt läuft im Auto der Künstler*innen dann aber Slipknot.

Die Neue Volksmusik

Neben der volkstümlichen Musik gibt es noch einen weit weniger populären, aber musikalisch interessanteren Versuch der Fusion von Traditionellem und Modernem.
Unter der „Neuen Volksmusik“ versteht man eine erstaunlich harmonische Mischung der traditionellen Volksmusik mit Elementen aus Rock, Jazz und anderen Genres. Die in Tirol bekanntesten Vertreter sind wohl Kinderheld Bluatschink und Hubert von Goisern. Näher am traditionellen Vorbild sind die Stücke aus der Feder von Herbert Pixner.

Ein wahrer Geheimtipp dagegen ist Franui, ein Tiroler Ensemble, die nach ihrem Selbstverständnis ein „Umspannwerk zwischen Klassik, Volksmusik, Jazz und zeitgenössischer Kammermusik“ bilden. Das Ergebnis ist fantastisch schräg, einen Höreindruck findet man hier.

Austauschbar, aber unersetzlich

Auch nach intensiverem Befassen mit dem Thema, fehlt mir jegliches Verständnis für die Volksmusik.
Während ich bei den meisten Genres, die mich nicht ansprechen, zumindest an einem Merkmal erkenne, warum andere Menschen sie attraktiv finden könnten, ist mir die Volksmusik ein einziges Rätsel. Ich erkenne die Lust am Makaberen im Black Metal, das Potenzial zur oft so notwendigen Realitätsflucht im Schlager und die atemberaubende technische Leistung der Bebop-Jazzer.

Für die Volksmusik spricht für mich ihre Transgenerationalität, die gepaart mit ihrer technische Einfachheit eine Möglichkeit zu Bindungserlebnissen durch gemeinsames Musizieren bietet. Ich erkenne aber keinen Grund, warum im seltenen Falle eines Musikabends mit den Eltern ein Volkslied wie „I mog net Küah hiatn“ nicht gegen etwa „Smells Like Teen Spirit“ getauscht werden sollte.

Gleichzeitig bin ich aber auch davon überzeugt, dass dieses Alleinstellungsmerkmal existieren muss. In meinem starren, ungerechtfertigten Elitarismus bin ich blind für die Schönheit der Volksmusik, die noch immer so viele begeistert. Hätte sie nicht das berühmte „Gewisse Etwas“, so wäre sie niemals in der vorliegenden Form entstanden und würde nicht bis heute aufgeführt werden.

Mögen noch so viele, tief verankerte Alarmglocken des Anti-Patriotismus und Progressivismus im studentischen Gewissen läuten, im Endeffekt liegt es an uns Österreicher*innen, die Alpenländische Volksmusik zu bewahren. Sonst tut’s eben niemand.
Natürlich sichert die harte Arbeit der Archivar*innen das Überleben unseres Kulturgutes, Musik will und muss aber aufgeführt werden.
So schräg Lederhosen aussehen und die dörfliche Musikkapelle klingen mag, trotz aller Abneigung kann ich den Volksmusiker*innen, die diese gesellschaftlich unschätzbar wichtige Aufgabe übernehmen, nur dankbar sein. Die Vorstellung, dass ein über Jahrhunderte mündlich tradiertes Stück nun nur mehr in Regalen oder auf Servern existiert, ohne jemals wieder gespielt zu werden, stimmt mich jedenfalls traurig.

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