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Babyblau & Pink: Eine Kurzgeschichte

Margarethe und Peter bekommen bald ihr zweites Kind. Ganz verliebt sind sie in die Fiktion, die sie sich erbauen. Sie imaginieren sich die Zukunft; zumindest nennen sie ihre Fantasien so.

Dass ihre Träume allerdings mit keiner Notwendigkeit in der Zukunft Wirklichkeit werden, könnten sie bereits von ihrem ersten Kind gelernt haben. Doch das Babyblau, mit dem sie die neue Hälfte des Kinderzimmers bemalen, täuscht sie so ungemein. Sie meinen nämlich, dass nur die pinke Hälfte dieses Raumes Illusionen erzeugt.

So stehen sie nun da. Eine Hälfte pink und die andere in frischem babyblau. Diesen „Kontrast“ romantisieren sie vermutlich und sehen darin eine sich ergänzende Dualität wie bei Yin & Yang. „Bald werden wir ganz sein“ sagt Peter, während er den Bauch seiner Frau streichelt, in welchem sich ein noch unausgereiftes Ungeheuer befindet. Denn obwohl die Ultraschall-Bilder ganz klar zeigen, dass hinter den Schichten verborgen ein Außerirdischer auf seine Ankunft wartet, sehen Margarethe und Peter darin die Lösung all ihrer Probleme. Doch genauso, wie ihre beiden Kinder irgendwann feststellen werden, dass Mutter & Vater nicht ausreichend sind, so werden auch diese lernen müssen, dass sowohl männlich & weiblich, als auch babyblau & pink nicht für Ganzheit sorgen.

Margarethe & Peter hätten wohl besser auf Slavoj Žižek hören sollen, als er verdeutlicht hat, dass Freedom of Choice nicht wirklich Freedom ist. Nach ihm verschleiern nämlich die Auswahlmöglichkeiten – so viele es auch sind – die Tatsache, dass man auch von sich aus etwas wählen könnte, unabhängig davon, ob es zur Auswahl steht oder nicht. Vielleicht gibt es nämlich noch andere Möglichkeiten als babyblau und pink, vielleicht machen diese beiden den Kreis gar nicht komplett.

Wenn wir zurückschauen, dann erkennen wir den Fehler in dem Moment, als Margarethe dachte, dass babyblau „das Andere“ wäre, weil diese beiden Farben immer zur Auswahl standen. Ich gebe zu, dass babyblau nicht pink ist, doch muss betonen, dass sie beide jeweils traumartig und soft sind. Das nächste Mal also, wenn die Wand gestrichen werden muss und der Verkäufer diese beiden zur Auswahl stellt, sollte Peter sagen: „I would prefer not to.“

Doch ob Peter und Margarethe überhaupt noch einen dritten Frühling erleben werden, ist ungewiss. Gewisser ist, dass ihre beiden Kinder irgendwann auf ein Zitat Nietzsche’s stoßen werden: „Welches Kind hätte nicht Grund, über seine Eltern zu weinen?“, und vielleicht werden sie sogar lernen, wie man eigene Farben zaubert.

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