Diese Worte in dieser Reihenfolge werden wahrscheinlich bei vielen von euch sofort ein Drücken unter der Schädeldecke hervorrufen. Eine Wut hervorbringen, derer ich mich eigentlich nicht stellen möchte. Doch zum Glück kann ich mich hinter diesen Buchstaben verstecken. Von denen ich glaube, dass ihr sie lesen solltet. Kleine Entwarnung: Ich weiß natürlich, dass ihr recht habt. Also lasst mich bitte erzählen, warum ich mich nicht nur aus dem Fenster lehne, sondern mit Anlauf und gestreckten Armen zu einem Seemannsköpper ansetze.
All das Wissen, das in gewissen Kreisen existiert, musste ich mir erst einmal aneignen. „Rassismus gegen weiße Menschen gibt es nicht.”, „Die Frau wird immer noch systematisch unterdrückt.” Jaja. Ich erinnre mich an hitzige Debatten mit meiner großen Schwester – einer äußerst heißblütigen Feministin. Zum Zeitpunkt dieser Debatten war ich 17 Jahre alt. Jung, dumm und hauptsächlich am nächsten Bier oder Dübel interessiert. Und trotzdem hielt ich mich für ganz schön schlau – meiner Meinung nach hatte ich an dem Lolli der Weisheit schon lang genug gelutscht. Schließlich hatte ich schon so viele Bücher gelesen und Filme geschaut, die Welt war mir wohlbekannt. Sie versuchte mir weiszumachen, dass das Geschlecht nichts mit dem zu tun hat, was wir zwischen den Beinen haben. Was für’n Bullshit. Dass meine Eltern das genau so wenig verstanden wie ich, hat sicherlich nicht geholfen.
Mit 19 habe ich dann eine Kochlehre angefangen – intellektuelle Kreise haben mich schon immer angezogen. Mit dem ganzen neuen Wissen über Frauen und Politik bin ich dann nach Österreich gezogen und habe mich das erste Mal so richtig fremd gefühlt. Ich war auf einmal einer dieser scheiß „Deitsch’n”. Ich wollte keine 54 Stunden die Woche arbeiten, ich „Pussy”. Irgendwie hat es mir nicht getaugt, jeder Frau hinterher zu pfeifen und hässliche Bemerkungen zu machen. Außerdem habe ich versucht, den Menschen beizubringen, dass man das N-Wort nicht benutzt. Halle-fucking-lujah.
Ich habe mich geschämt, meinem ziemlich kleinen Umfeld davon zu erzählen. Dieses Gefühl falsch zu sein. In jedem Moment bereit sein zu müssen, meine Existenz und meine Denkweisen zu rechtfertigen. Die geballte Kraft meiner von Testosteron gesteuerten Kollegen gegen mich gerichtet zu haben. Kellnerinnen zu sehen, die den „Spaß” mitmachen, weil sie nicht wissen, wie sie sonst in dem Umfeld überleben sollen. Spüler und Küchenhilfen – oft mit Migrationshintergrund – die nur als Ausnahmen akzeptiert werden und auch nur, weil sie jahrelang den Kopf eingezogen haben und alles tun, was von ihnen verlangt wird. Ich verstand nicht ganz, an was für einem Lolli diese Menschen geleckt hatten, aber der Mundgeruch, den sie davon bekamen, lies eine Übelkeit in mir aufsteigen. Die Gespräche mit meiner Schwester kamen mir in den Sinn. Von so etwas hat sie geredet. Diskriminierung in der heutigen Zeit – und ich mittendrin.
Ich kündigte. Fünf Monate von diesem Spaß und mein Selbstbewusstsein war im Arsch, mein Weltbild auf dem Kopf. Ich beschloss, etwas ganz anderes zu machen und begann mit einem Philosophiestudium – und all die hässlichen Gefühle verschwanden mit einem Schlag. Ich fand Menschen, von denen ich respektiert wurde. Die meine Meinungen teilten. Ich lernte die theoretischen Hintergründe von all den Dingen, die ich beobachtet und empfunden hatte. Meine Welt war wieder heil.
Ein Jährchen später sitze ich mit ein paar Freundinnen und Freunden zusammen und wir streiten. Eine von uns soll bei einer FLINTA-Demo ein Konzert spielen. Und natürlich möchte sie, dass wir alle dabei sind und sie unterstützen. Das sehen die Veranstalterinnen aber ganz anders. Einer der Beisitzenden wirft ein: „Was für ein Bullshit. Was soll denn der Mist. Keine cis-Männer. Das ist doch Diskriminierung! Die kämpfen gegen Ausschluss und schließen dann selbst Leute aus? Habt ihr bei deren Kundgebungen mal zugehört? Die benutzen das Wort cis als Kampfbegriff. Als ob ich die Verkörperung allen Übels bin. Und wir sollen nicht generalisieren. Ahja…” Das ist Erik. Ich verstehe zwar, was er sagt, doch irgendwie bringe ich es nicht übers Herz, ihm zuzustimmen.
Das Hin und Her, das danach folgt, geht mir eine ganze Weile nicht aus dem Kopf. Wir sind nicht zu der Demo gegangen. In der Zwischenzeit schenkt mir meine Schwester ein Buch. „Sprache und Sein” von Kübra Gümüşay. Sie erzählt von ihrem Leben – und von dem vieler ihrer Mitstreiterinnen. Demütigung, Ausschluss, Befremdung, Unglück. Wieder und wieder. Von Kind auf. Bis zum heutigen Tag.
„Die Menschen sehen uns anders an, als wir es auf unseren Reisen erlebt habe. Manche blicken abwertend, andere hämisch. Ich schaue zu meinem kleinen Sohn, der ganz unvoreingenommen die Menschen um sich herum beobachtetet, ihren Blickkontakt sucht, bei manchen findet, doch von vielen ignoriert wird. Ich fühle mich unwohl. Hier. In meiner Geburtsstadt. Meiner Heimat. “
Allein bei diesen Worten steigen mir Tränen in die Augen. Sie erzählt vom Gang durch den Hamburger Flughafen 2017. Die AfD hatte gerade 12,6 Prozent bei den Bundestagswahlen erzielt. Aus ganz anderen Gründen steigt wieder Scham in mir hoch. Ich habe mich fünf Monate lang fremd gefühlt, und dabei hauptsächlich die Diskriminierung anderer Menschen beobachtet. Das Ganze mit den Erfahrungen von Menschen verglichen, die sich nicht mit einer in fünf Minuten geschriebenen Kündigung befreien können. Die nicht den Daddy im Hintergrund haben, der sie ein Weilchen durchboxt, bis sie sich einen Kreis suchen können, in dem das vertraute Gefühl von Gleichstellung wiederhergestellt wird.
Also nein. Was ich manchmal als weißer cis-Mann empfinde kommt nicht an die systematische Unterdrückung mancher Menschen heran. Sei es, weil sie mit der „falschen“ Hautfarbe geboren wurden, das „falsche“ Geschlechtsorgan zwischen den Beinen haben oder sich damit nicht identifizieren können. Weil sie den/die „falsche*n“ lieben. Weil sie an die „falsche“ Gottheit glauben. Weil sie mit den „falschen“ Personen verwandt sind. Wo sie geboren sind. Was ich gelernt habe, ist, dass ich NICHT weiß, wovon sie reden. Und jetzt soll ich mich hinstellen und jemanden erzählen, wie sie oder er oder was auch immer um ihre/seine Gleichstellung kämpfen darf. Mich ausgeschlossen fühlen, weil ich einmal für ein paar Stunden nicht zu einem Ort darf. Nicht mitreden darf, wenn sie das Gefühl haben sich einmal frei ausdrücken zu können.
Das Einzige, zu dem ich mich berechtigt fühle, ist diesen Text zu schreiben. Meine Scham für mein Privileg preiszugeben. Und meine Scham, Teil von einer Gesellschaft zu sein, die dieses Thema nicht auf jedem Plakat, an jeder Litfaßsäule und in jedem verdammten YouTube Video thematisiert. Und wenn doch, dann so oft während die betroffene Person in die Ecke gedrängt wird.. Menschenhass ist keine Meinung, genauso wenig, wie ein Lolli in einer vollgeschissenen Toilette eine Süßigkeit ist.