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Mein Körper – Meine Regeln

YOU DRESS LIKE A SLUT – YOU THINK LIKE A RAPIST

Am 9. Juli wird der erste slutwalk in Innsbruck stattfinden. Die Zeitlos hat sich mit der Initiatorin des slutwalks darüber unterhalten, was der slutwalk ist, für wen der walk gedacht ist und worum es dabei geht.

In diesem Interview sprechen wir über sexualisierte und andere Gewalt. Solltest du dich damit nicht wohl fühlen, schau gerne bei unseren anderen Artikeln vorbei oder lies den Text mit einer vertrauten Person.

Die Zeitlos: Was ist ein slutwalk?
slutwalk: Der Slutwalk ist eine Demoform, die es in fast 100 Städten weltweit gibt. Der Ursprung vom slutwalk bzw. der Auslöser war die Aussage von einem Polizisten, der meinte, dass Betroffene von Vergewaltigungen sich nicht so slutty anziehen sollen, wenn sie nicht vergewaltigt werden wollen. Das hat dazu geführt, dass sich ein Haufen Leute solidarisiert haben und betont slutty auf die Straße gegangen sind, um zu zeigen “Hey, es ist nichts falsch daran, sexuell freizügig und knapp bekleidet im öffentlichen Raum zu sein.“ Und es ist auf keinen Fall die Verantwortung der Betroffenen, egal was sie anhaben. Sondern es ist immer die Verantwortung der Täter*innen. (Anmerkung der Redaktion: der erste slutwalk fand 2011 in Toronto als Antwort auf die Aussage eines Polizisten statt: “women should avoid dressing like sluts in order not to be victimized”)
Ich habe über Instagram gesehen, dass das in Wien stattfindet, und dachte mir “genial, das bringts so gut auf den Punkt und es ist so ein einfaches Konzept.“ Es bündelt slutshaming, victim blaming und rape culture. Und es kann sehr empowernd sein und Spaß machen, gemeinsam so auf die Straße zu gehen. Denn es ist einfach etwas anderes, in der Gruppe – da ist man sicherer, da ist man mächtiger. Und da dacht ich mir, das muss es in Innsbruck auch geben.

Was ist victim blaming?
Einfach ein Wort für Täter-Opfer Umkehr. Dass Betroffenen die Schuld, eine Teilschuld oder die Verantwortung für Übergriffe gegeben wird. Und das nimmt erstens Täter*innen aus der Verantwortung und ist deswegen ein Problem. Zweitens ist es extrem belastend für Betroffene und verhindert, dass man Gewalterfahrung aufarbeiten kann. Es hat auch einen großen schädlichen Einfluss auf die Gesundheit und das Wohlbefinden von Betroffenen, die eh schon genug zu kämpfen haben.

Was ist slut shaming?
slut shaming ist, wenn Leute das Gefühl gegeben bekommen, sie müssen sich dafür schämen, wenn sie sich gern freizügig kleiden oder gern ihre Sexualität ausleben oder gerne Sex haben. Es ist ja so willkürlich, was ist zu sexy, dass slut shaming oft Leute bei Sachen betrifft, wo man objektiv sagen würde „Warum stört das jemanden?“ Es liegt also sehr daran, wie Leute etwas wahrnehmen. Slut shaming spielt schon auch oft geschlechterabhängig eine Rolle. Man kennt es ja „Wenn Männer viel Sex haben, dann sind es Stecher“ und Frauen werden abgewertet.

Was ist rape culture?
Das ist ein Wort, das zeigen soll, dass sexualisierte Gewalt in unserer Kultur – vielleicht ist nicht ganz offiziell – aber inoffiziell geduldet wird. Dass sie normalisiert ist und sich durch alle Lebensbereiche zieht und dass Vergewaltigungen nicht plötzlich aus dem luftleeren Raum passieren und es nur irgendwelche ganz bösen Menschen sind, die hinter Büschen hervorspringen und die man nicht kennt. Sondern es soll zeigen, dass ganz kleine Formen von Sexismus oder von Witzen über Vergewaltigung oder ebenso Einstellungen, dass man es selbst provozieren würde. Diese Einstellungen sind alle Teil eines Systems. Und diese kleinen Verharmlosungen von Gewalt tragen dazu bei, dass Gewalt tatsächlich passiert.

Soll der slutwalk demnach ein Anstoß sein, seine eigenen Gedanken und das Gesellschaftssystem zu hinterfragen?
Die Konsequenz ist, dass Gewalt im Kleinen anfängt und wir deshalb auch dort ansetzen. Es bringt etwas, zu widersprechen, wenn jemand zum Beispiel im Freundeskreis Witze über Vergewaltigung macht. Es bringt etwas, im Kleinen aufzuklären. Weil kleine Dinge die großen Dinge mitbedingen und das macht mehr Handlungsmöglichkeiten gegen Gewalt auf. Es ist wichtig, dass Leute nicht mehr wegschauen können bei dem Thema. Und man kann nicht mehr wegschauen, wenn so viele Leute so auffällig gekleidet auf die Straße gehen. Ob sich die Menschen dann damit auseinandersetzten, ist immer nochmal was anderes, aber es fällt auf.

“Wir wollen aufklären, aufklären, aufklären!”

Das Wort “slut” ist für viele ja erstmal eine Beleidigung. Wieso heißt die Demo slutwalk?
Ganz einfach, weil es als slutwalk gestartet hat. Da ist es dann naheliegend, das gleich zu übernehmen. Und weil es auch darum geht, das Wort neu zu besetzen. Es gibt da diesen Prozess vom “reclaiming”. Ein gutes Beispiel ist das Wort “queer”, das lange ein Schimpfwort war und dann von der Community als Selbstbezeichnung genutzt wurde. Und inzwischen weiß bei uns niemand mehr, dass es ein Schimpfwort war und es ist einfach eine neutrale Beschreibung. Es wäre schön, wenn es mit dem Wort slut auch so ist. Denn eigentlich ist es überhaupt nichts Verwerfliches, seine Sexualität zu zeigen und auszuleben.

Wie würdest du slut definieren?
Für uns hat slut ganz viel mit sexueller Selbstbestimmung zu tun. Also die Seite von sich anzunehmen, die gerne sexy ist und es genießt, sexy zu sein. Die sich damit schön, stark und wohl fühlt.  Und dass es etwas ist, wofür ich mich ganz klar weigere, mich zu schämen. Deswegen benutzen wir dieses Wort, um sichtbar zu machen: “Was ist das Problem dran, warum stört es dich überhaupt? Was ist schlimm daran, wenn sich Menschen in ihrem Körper wohl fühlen? Wenn sie gerne sexy sind und gerne Sex haben?” Und es ist schon auch wörtlich auf die Aussage von dem Polizisten bezogen.

Wer das Wort slut im Internet sucht, stößt auf Definitionen, die meist auf Frauen bezogen sind. Ist der slutwalk vorrangig für weiblich gelesene Personen?
Ich finde den Begriff slut so cool, weil er eben nicht geschlechtsspezifisch ist. Im Englischen sind diese Begriffe oft geschlechterloser. Slut ist neutraler als das deutsche Wort „Schlampe“. Ich würde es immer beschreiben mit “eine Person, die gerne…”. Slut ist ein Begriff, der gerade auch für queere Männer oder von nicht weiblichen Personen als Selbstbezeichnung benutzt wird. Der Begriff ist also etwas inklusiver als die deutschen Übersetzungen. Klar betreffen diese Themen vor allem FLINTA-Personen und Frauen mehr als Männer – also Cis-Männer. Aber sexualisierte Gewalt betrifft nie nur eine Gruppe und auch Cis-Männer sind betroffen. Deshalb ist die Demo für alle da. Für alle Betroffenen, aber auch für alle, die sich solidarisieren wollen.

FLINTA: die Abkürzung steht für Frauen, Lesben, intergeschlechtliche, nichtbinäre, transgender und agender Personen

Sollen die Menschen, die sich solidarisieren wollen, sich auch slutty anziehen?
Nein überhaupt nicht. Erst einmal hat slutty etwas mit einem Mindset zu tun und es geht darum, sich mit sich selbst wohlzufühlen. Das hat nicht zwingend was mit Kleidungsstil, mit dem Äußerem oder mit Makeup zu tun. Also es gibt keinen Druck, in einem bestimmten Dresscode zu kommen. Das wichtigste ist, dass man sich wohl fühlt. Und es ist ein Ort für alle. Dadurch outet sich also niemand als slut, nur weil er*sie dahin geht. Es geht darum, ein Zeichen zu setzen gegen slutshaming, victim blaming, rape culture und patriarchale Gewalt.

Was unterscheidet den slutwalk von anderen feministischen Demos?
Es geht nicht so sehr um die Frage „Welche Gruppe ist jetzt spezifisch betroffen?“ Es ist sehr sehr wichtig, dass es um slut shaming und victim blaming geht. Und davon können alle Menschen betroffen sein.

Ihr seid gegen slutshaming und gegen victim blaming. Habt ihr spezifische Forderungen? Wofür seid ihr?
Die Forderung ist, dass wir alle ein Recht darauf haben, uns frei und sicher im öffentlichen Raum zu bewegen, ohne befürchten zu müssen, betroffen zu sein von sämtlichen Formen von Gewalt, und vor allem sexualisierter Gewalt. Wir sind für Sicherheit, die wir alle verdient haben. Dafür, dass sich jede*r ausleben kann und sich nicht einschränken lassen muss durch Bedrohung von Gewalt. Eine weitere Forderung ist, dass wir unbedingt etwas machen müssen, damit weniger Leute von sexualisierter Gewalt betroffen sind.
Slut shaming und vicim blaming sind zwei Punkte, die sehr stark in die rape culture mit reinspielen, aber nicht so wahrgenommen werden, weil es nicht um einen tatsächlichen Übergriff geht. Es ist also eine unsichtbarere Form von Gewalt. Und zwar, weil sich Täterpersonen dadurch bestärkt fühlen und weil Betroffene sich dadurch die Schuld geben für Gewalt, die ihnen angetan wurde. Oder weil sie sich aus Angst vor Reaktionen keine Hilfe holen, obwohl sie dringend Hilfe bräuchten.

Es geht auch darum, dass man merkt: Okay, cool! In einer Gruppe fühle ich mich wohl und sicher und Menschen solidarisieren sich.

Woher kommt diese Kultur und was kann man dagegen machen?
Am wichtigsten ist es, das ganze aufzuklären, aufzuklären, aufzuklären. Das ist auch ein großes Ziel des slutwalks: Einfach darauf aufmerksam zu machen. Denn es gibt viele Leute, die so sozialisiert sind und es kommt ganz klar aus dem Patriarchat. Denn Patriarchat bedingt rape culture. Eine Gesellschaft in der es solche Machtstrukturen gibt, bedingt auch Gewalt. Mächtige Leute in der Gesellschaft haben immer ein Interesse daran, dass dieses System aufrecht erhalten bleibt – ganz logisch – weil sie davon profitieren. Ein Instrument, diese Strukturen aufrecht zu erhalten ist es, gesellschaftliche Narrative zu verbreiten, die Täter*innen aus der Verantwortung nehmen und betroffenen Personen die Schuld geben.  Dadurch, dass das aber ganz allgemeine Normen sind, wird das oft auch von Personen durch die Sozialisation, durch die Erziehung und das Umfeld aufgenommen und verinnerlicht. Und dann sind es sehr oft auch Frauen, die das reproduzieren.

Ich merke auch in meinem Umfeld und von anderen Leuten, die uns Dinge erzählen, wie „früher hab‘ ich das auch gemacht – also slutshaming – und jetzt habe ich das hinterfragt und mache es so nicht mehr und merke, was da los war. Ich glaube es ist schon ganz viel Potenzial da, dass durch Aufklärung geweckt werden kann. Es muss so ein bestimmter Knackpunkt erreicht werden. Denn wenn genug Leute ganz klar sagen „Na, das ist nicht okay, das ist nicht normal.“, dann setzt sich das in der Gesellschaft fest. Denn es kommt darauf an, was verbreitet ist und was in der Gesellschaft der status quo ist.
Und es geht noch darüber hinaus: Es ist sehr wichtig, dass sich auch institutionalisiert etwas verändert. Denn sehr viel slutshaming und victim blaming passiert von Polizei und medizinischem Personal, wenn Betroffene dorthin gehen, weil sie gerade belästigt oder vergewaltigt wurden. (Hier ein Erfahrungsbericht dazu)

Was kann man Personen raten, die eine akute Gewaltsituation als ausweglos sehen bzw. Angst haben, dass ein Sich-zur-Wehr-setzen nur schlimmere Folgen haben könnte?
So eine Welt ist leider immer noch sehr utopisch. Aber ich sehe es als am wichtigsten, consent zu etablieren. Also z.B. viel sexuelle Bildung an Schulen und Aufklärung. Eine Person hat uns zum Beispiel geschrieben, dass sie vergewaltigt wurde, der Täter aber bis heute wahrscheinlich nicht weiß, was er da gemacht hat. Ich glaube das viele Teenager und junge Erwachsene gar nicht checken, dass sie gerade eigentlich vergewaltigen. Es ist schwierig, Betroffenen To Dos mitzugeben. Auf jeden Fall ganz klar bestärken, dass consent wichtig ist!
Und es ist mindestens genauso wichtig, dass man – falls so etwas passiert – danach gut aufgefangen wird. Es macht einen riesengroßen unterschied, ob jemand danach vermittelt Hey, ich bin für dich da. Es ist nicht okay, was passiert ist“ oder „Du bist schuld“. Das kann die Verarbeitung so viel schwieriger machen und auch retraumatisierend sein. Klar, es ist auch ein Versuch, die Sicherheit zurückzugewinnen: Wenn ich im Kopf hab „okay, Rock ist länger, ich bin sicherer“ dann ist es weniger bedrohlich als „Egal was ich anhabe, mir kann immer was passieren.“ Es geht dabei also auch um einen Schutzgedanken, aber es stimmt halt nicht.

consent: der Begriff beschreibt, dass alle Personen eindeutig ihre Zustimmung ausdrücken

Was stimmt nicht?
Dass Kleidung irgendwie beeinflussen könnte, dass man nicht vergewaltigt wird. Und dem die nächste Konsequenz ist dann, dass keine Verantwortung bei den Betroffenen liegt und dass eine gewisse Rockkürze damit etwas zu tun hat.

Was würdest du dir wünschen, wie Leute über den slutwalk reden? Was sollten Menschen dazu sagen, die gar nicht aus einer feministischen Bubble kommen?
Ich würde mich freuen, wenn sie neugierig wären. Wenn sie nachfragen und es nicht abstempeln. Es ist voll okay, wenn man es nicht versteht, aber es wäre schön, wenn Leute offenbleiben und dann verstehen. Es soll schon auch zeigen, wie sexy Feminismus sein kann. Und es geht stark um Sicherheit im öffentlichen Raum, egal was jemand anhat.

Der slutwalk wird am 9.7. stattfinden. Ab 12 Uhr hat jede Person die Möglichkeit, ihren Beitrag mit Kreide auf die Straße zu schreiben. Ab 14 Uhr findet die Demonstration mit anschließendem Programm, Infomaterial und Workshops statt.

Fotos: Vivien Spital (die Bilder sind als Inspiration für den slutwalk in Innsbruck entstanden)

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