„Österreich ist eine demokratische Republik. Ihr Recht geht vom Volk aus.“ Demokratie bedeutet, dass politische Entscheidungen durch den Willen der mehrheitlichen Bevölkerung eines Landes getroffen werden. Innerhalb von Demokratien wurden diese seit den Anfängen der griechischen Polis jedoch primär von einer männlichen Minderheit der gesellschaftlichen Oberschicht getroffen. Erst im späten 19. Jahrhundert begannen Staaten, die Wahlurnen auch für Frauen* zugänglich zu machen. Zu einem Zeitpunkt, an dem viele Demokratien bereits als solche definiert waren.
Eine Fehlinterpretation
Das erste Land, welches Frauen* das Recht zum Wählen zusprach, war Neuseeland im Jahr 1893. Im folgenden Jahrhundert gab es mehrere Wellen der Demokratisierung, unter anderem in den Jahren nach dem ersten Weltkrieg. Dessen ungeachtet wurde Frauen* das Wahlrecht oftmals erst durchschnittlich 30 – 70 Jahre nach der Bestätigung des Männerwahlrechts zugestanden. In vielen Demokratien wie Frankreich, Belgien oder den USA liegt die Differenz bei bis zu 70 Jahren. Eine große Überraschung stellt zum Beispiel die Schweiz dar. Ein Land, welches für gewöhnlich als Sinnbild „westlicher“ Demokratie gesehen wird. Dort erhielten Frauen* das Wahlrecht im Jahre 1971 und somit erst 123 Jahre nach der Einführung des Männerwahlrechts und dahingehend der Demokratisierung des Staates. In Österreich beträgt die die Diskrepanz neun Jahre.
Die Demokratie der Männer
Aber auch unter Männern waren Demokratische Rechte nicht gleichmäßig verteilt. Primär handelte es sich hierbei um Männer einer höheren sozialen Schicht. Arbeiter, Randgruppen und vor allem Frauen* wurden hierbei aktiv außen vorgelassen. Dass es sich dabei aber um mehr als die Hälfte der Bevölkerung handelt, wurde gekonnt ignoriert. Länder von denen bisher angenommen wurde, sie würden eine lange demokratische Tradition besitzen, haben in der Praxis eine vollständige Demokratisierung nach gegenwärtigen Standards erst ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts erreicht und schwächen somit das traditionelle, theoretische Leitbild der westlichen Demokratie.
Wahlpartizipation von Frauen*
Kommen wir nun zu der Frage, wie genau Frauen* ihr Wahlrecht einsetzen, sobald sie es erlangt haben. In den vergangenen Jahrzehnten lässt sich eine positive Entwicklung bei der Wahlpartizipation von Frauen* feststellen. In den 1980er Jahren wurden gleiche Raten ermittelt wie bei männlichen Wählern. Dabei wird offensichtlich, dass persönliches politisches Interesse als Voraussetzung für politische Partizipation – in diesem Fall die Entscheidung, zu wählen – gilt und dieses das Wahlverhalten von Geschlechtern mitbestimmt.
Bis in die 60er und 70er Jahre wählten Frauen* in der Regel konservativer als Männer. Diese Tendenzen verschoben sich ab den 80er Jahren. Seitdem tendieren viele Frauen* immer mehr zu linksorientierten Parteien und wenden sich eher von konservativen und rechtspopulistisch auftretenden Gruppierungen ab.
Warum ist das so?
Dieser Unterschied ist vor allem durch das sozioökonomische Umfeld, in denen sich ein Großteil der weiblichen Gesellschaft im Globalen Norden befindet, erklärbar. Frauen* waren durch konservative Rollenbilder für gewöhnlich als Ehefrau und Mutter an das Haus gebunden. Sie nahmen die Stellung einer Hausfrau ein und orientierten sich an traditionellen, kleinbürgerlichen Werten.
In den folgenden Jahrzehnten wechselten vermehrt Frauen* vom familiären Privatraum in die öffentliche Sphäre des Arbeitsmarktes. Als Folge der wachsenden beruflichen Beschäftigung entwickelten und veränderten sich auch ihre Werte. Durch die eigene Erwerbstätigkeit wurden Frauen* finanziell, und somit auch in ihren eigenen Entscheidungen, unabhängiger. Weitere Faktoren wie der Zugang zu Bildung, die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Klasse oder die sexuelle Orientierung spielen, auch nach wie vor, eine große Rolle bei der Wertebildung und somit der Wahl politischer Parteien und deren Vertreter*innen.
Eine Reihe neuer Möglichkeiten
Als Folge des verstärkten privaten Interesses von Frauen* an politischen Strukturen kam es zu einer vermehrten, aktiven Teilnahme an politischen Abläufen, welche über das Setzen von Kreuzen in Wahlkabinen hinaus geht. Frauen* begannen ihre Werte aktiv zu vertreten, indem sie zum Beispiel Parteien beitreten oder sich selbst für Wahlen aufstellen. Dabei fungieren Frauen* in politischen Ämtern oftmals als Vorbild für andere Frauen*.
Durch diese Teilnahme werden unter anderem komplexe Themen, die zuvor als private Debatten galten, nun dem öffentlichen Diskussionsraum zugestanden. Diese genderspezifischen Themen, wie beispielsweise die Gleichberechtigung auf dem Arbeitsmarkt, Anerkennung und Selbstbestimmung. Themen, die vor dreißig Jahren noch als „unsichtbar“ eingestuft wurden, erhalten nun mehr Aufmerksamkeit. Und stellt dies nicht genau einen zentralen Punkt von Demokratie dar?
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