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Diametrale B-sides: Gedankenfragmente und ein Gespräch mit SALÒ

(c) Peter Griesser
© petergriesser.com

Am 2. April öffnete die p.m.k. im Zuge der Diametrale ihre Pforten und lud zum nächtens komisch-schönen tanzend Sich-Vergessen. Zu Beginn wurden 36 Minuten lang die „räudigen kleinen Schwestern des Kurzfilmwettbewerbs, die rotzfrechen B-sides“ gezeigt. Im Anschluss traten vier verschiedene, unterschiedlicher nicht sein könnende, Musiker*innen auf. Eine Nacht als Auffangbecken und sicheren Hafen für die hoffnungsvoll hoffnungsbefreiten Luftschlossarchitekt*innen, die Komischen und Schönen, die ihr Leben wandeln auf der Suche nach Berührung, Lebendigkeit und sich in Absurdität widerspiegelnd wiederfinden. 

B-Sides – Die räudigen kleinen Schwestern

7Minuten-„Bass Rally“: Es beginnt eine Fahrt und ich weiß nicht wohin – immer schneller. Ich bin gestresst. Der Mann in dem weißen Gewand lacht, dann verzieht er sein Gesicht. Die Welt in Träumen ist immer so abstrus, aber kommt uns im Moment so logisch vor. Ein Moment der Ruhe, ein Wechsel von blau zu rot zu lila und zurück. Von Schnee und Meer zu Wachstum und Erde. Worin unterscheiden sich Dinosaurier von Flugzeugen? (still: © Bartsik )

1Minute-„Blue Planet“: Das Geräusch von Streichen über Luftpolsterfolie hört sich an wie die blaue Seide daneben aussieht. Das Geräusch des Platzens derselben und der aneinanderschlagenden Murmeln erinnern mich an meine Kindheit. (still: © Pauline Maure, Victoria Aime )

3Minuten-„For the residue“: Kuss in schwarz-weiß. Auf die Scheibe, das Glas, die Leinwand die uns trennt – die das Publikum von den Lippen des Filmes trennt, die sich immer wilder zu der Gitarrenmusik bewegen. Mal offen mal zu, imperfekt ist echt. Vielleicht schreien sie auch. Plötzlich ist alles hell und weich und die Lippen rot – oder eigentlich nur die Abdrücke dieser. Der letzte Kuss scheint sanft gewesen zu sein. (still: © Yongchu Suh)

2Minuten-„Present Day/Present Time“:  Wie im Inneren einer leeren Matrix. Nicht real, doch nicht erklärbar, woher dieses Gefühl kommt. Ein sich weiterrotierendes, um sich selbst drehendes, alles und jede*n einwickelndes, fesselndes System. Abgewechselt durch die kurzen Momente des stillen Wassers in bunten Farben. (still: © Tobias Williams )

4Minuten-„Incomplete“: Ich fühle mich so angeschlagen von Nerudas Worten. Und so im Fallen eingefangen. Bin ein fallender Körper, ein inkompletter Vogel der auf der Stelle fliegt. Mir wurde gelernt mich zu fürchten, vor allem, was nicht abgeschmirgelt, gleichmäßig abgerundet wurde. Die Verletzungsgefahr ist allgegenwärtig, wie der Gedanke an die frei galoppierenden Pferde von damals. Wir rennen auch, doch der Untergrund bewegt sich ebenfalls und plötzlich sind wir dann am falschen Weg und steuern zu aufs falsche Ziel. (still: © Dalena Tran )

4Minuten-„Collage 38.2“: Film in schwarz- weiß in zwölf Quadraten. Sie tritt aus dem Zimmer, sieht verloren aus, zwölfmal. Er fragt, warum sie wach sei, sie sagt sie könne nicht schlafen. Die Zeitlinien beginnen sich zu verschieben. Sie sagt sie liebe ihn, er sagt das sei Blödsinn. Es kann so nicht weitergehen, sagt sie. Er sagt sie ekle ihn an. Die Worte hallen immer wieder nach, verschwimmen, es wird laut, unübersichtlich. Der Schmerz hat zwölfmal mehr Dimensionen als nur die eine. (still: © Luis Carlos Rodríguez )

3Minuten-„Grimoire 9“: 5,…,4…,3….In einem Computerspiel mit dem Horror der Realität. Absurd, weil so vieles wahr ist. Es geht nach unten, klar. Verpixelt und doch klar. Doch niemals klar ist einem*r, was eigentlich passiert und warum überhaupt. Gefangen in der Virtualität der Realität. Die unechten Sterne nach einer Ordnung organisiert. Chaos und Kosmos. (still: © Javier Mauricio Fabregas )

5Minuten-„Hubbards“: Jeden Tag grabe er, und jeder Tag wäre ein Kampf. Er suche nach den Knochen seines Bruders. Vielleicht ist es auch okay sich etwas zu verwehren. Zum Beispiel Hubbards Rice and Onion Milkshake. Spoiler: Er hat seinen Bruder gefunden. (still: © Kevin Ralston )

7Minuten-„Experimental Clicks“: Ich stelle mir vor, wie mein Herz schneller schlägt, mehr Sauerstoff braucht, auf Hochtouren arbeitet. Gehirn aus, Adrenalin jetzt! Gefühlt explodieren Welten. Von Synapse zu Synapse. Was man in einer viertel Millisekunde fühlt, erlebt man gestreckt auf Minuten. (still: © Kostiantyn Mishchenko)

Im Gespräch mit SALÒ

Um 00:05 beginnt SALÒ`s Auftritt. SALÒ macht Musik für Hundestreichler*innen, Arbeitsverweigernde und alle, die sonst noch Gefühle haben; Lieder über Lust, Leiden und die Liebe in Zeiten des späten Turbo-Kapitalismus. Ein wildschmeichelnder Cocktail aus Post-Wave, Pop und Punk. Nach seinem Auftritt treffe ich ihn, um ihm ganz im Sinne des Themas der Diametrale „nutzlos & schön“ ein paar schräg-komische, abstruse Fragen zu stellen.

© Peter Griesser

Die Zeitlos: Wenn du eine Frucht wärst, welche wärst du und warum?

SALÒ: Ich glaub ich wäre gerne eine Mango. Weil ich Mangos ästhetisch sehr schön finde und sie schmecken halt auch geil. Ich mag, dass die so holzig und kantig sind.

Das Motto der Diametrale bezieht sich mit „nutzlos und schön“ auch auf den ästhetischen Wert. Aber ist etwas wirklich nutzlos, wenn es schön ist?

Nein, ich glaube nicht. Man erfreut sich ja an schönen Dingen. Schöne Tiere, schöne Blumen, schöne Gedichte, schöne Lieder… aber vielleicht mal so mal so.

Du machst Tränen zu Wein. Weinst du und dann trinkst du, oder trinkst du und dann weinst du?

Ich weine immer nüchtern, trinken hat noch nie geholfen. Betrunken ist nichts besser – ich habe gern einen klaren Geist. Die Anspielung in „Tränen zu Wein“ ist eher eine religiöse, so von wegen Wasser zu Wein.

Glaubst du Jesus, wenn er sagt sowas getan zu haben?

Ich kenn‘ da eine Theorie, die besagt, dass bei so Prophezeiungen und biblischen Metaphern Magic Mushrooms im Spiel waren. Und in einem etwas erweiterten Bewusstseinszustand kann das schon durchaus so passiert sein.

„Kennst du vielleicht einen guten Exorzisten?“ Für welchen Geist hättest du den oder die am liebsten?

Für verflossene Liebschaften, aber ich kenn´ leider auch keinen Exorzisten, ich such ja einen.

Wie fühlt sich Liebeskummer an?

Wie der schlimmste Schmerz, den man seelisch erleiden kann, …

Muss man in gewissem Sinne masochistisch sein, um Kunst zu betreiben?

Hm, man muss mutig sein, Risiken eingehen. Du kannst halt nicht einen 40 Stunden Job haben und nebenbei versuchen Rockstar zu werden. Aber was das seelische Leiden angeht und ob das hilft mit der Musik: nicht im Moment, sondern dann eher retrospektiv betrachtet. Weil, wenn man traurig ist, ist man wie gelähmt. Kunst mach‘ ich dann erst lange danach, wenn ich wieder back on track bin.

Wenn man nie Schmerzen erlitten hat, kann man dann Kunst machen?

Vielleicht irgendeine. Vielleicht könnte ich schöne Sachen malen, oder so langweilige Musik machen.

Stell dir vor du hast eine Wortbadewanne und in die füllst du alle Worte, die du schön findest, die sich für dich schön anfühlen – welche wären es?

Melancholie, Tristesse, Mon Chéri.

Am Sonntag fühlt man sich oft melancholisch – ich zumindest.  Wie sieht dein perfekter Sonntagnachmittag aus?

Im Stadtpark Enten füttern. Oder eigentlich anschauen, füttern tu ich sie nicht. Also Enten und fremde Hunde auf der Hundewiese „beglotzen“ und vielleicht streicheln, wenn ich darf.

Wie fühlt sich der Abend heute für dich an?

Wunderschön, aber nach der Show bin ich auch echt fertig. Irgendwie fühlt man sich nach einer Show so nackt…

Ich verabschiede mich von ihm und denke später am Heimweg über seine letzte Antwort nach. Einer seiner Songs schwirrt mir im Kopf herum. Dort singt er „Ich fühl mich neugeboren, fühl mich fühl mich neugeboren“. Und ich denke darüber nach, dass man nackt ist, wenn man (neu)geboren wird. Und irgendwie finde ich das ein sehr gutes Bild der Kunst. Ich habe heute einmal mehr erfahren dürfen, dass Kunst uns verwundbar macht, uns in die Ecke drängt. Kunst berührt und verwirrt. Kunst tut weh, aber Kunst hält uns am Leben, lässt uns uns immer wieder neu (er)finden, neugeboren werden. Kunst ist schön und komisch, und laut und leise, aber niemals nutzlos.

Titelbild: (c) Peter Griesser

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